Dienstag, 24. Januar 2012

Realität kassiert in erster Instanz

Im Jahre 2000 hatte die deutsche Regierung UMTS Lizenzen versteigert - man erinnert sich, das war kurz vor dem dotcom bust.

Was ist aus den Milliarden von Euros geworden, die damit in die staatliche Hosentasche wanderten ? Unter anderem wurde 2001 der Wolfgang Paul Preis daraus gestiftet. Der Preis wurde ein einziges Mal verliehen, aufgeteilt unter 14 Personen. Im Durchschnitt hat jeder Gewinner 2.2 Millionen Euro erhalten, darunter Barry Smith für seine Beiträge zu "ontological engineering".

Wolfgang Paul ist nicht Wolfang Pauli. Paul erhielt einen Nobelpreis für die Entwicklung der Paul-Falle (Ionen-Falle). Pauli erhielt einen Nobelpreis für die Formulierung des Pauli-Prinzips (Ausschließungsprinzips).

Smith hat das große Geld scheinbar für seine Bemühungen bekommen, mit einer Mischung von IT und Philosophie den gesunden Menschenverstand und die evident wirkliche Wirklichkeit wieder in Ehr' und Würde zu setzen. Für diese Weltanschauung-für-Jedermann wäre "Smith-Prinzip" eine treffliche Bezeichnung.

Samstag, 10. Dezember 2011

Wittgenstein verarscht die Exegeten

Bei der Internetsuche nach der Quelle des Ausdrucks "Geschwätzigkeit des Todes" - er riecht streng nach Hegel, aber scheinbar hat ihn Nassehi in die Welt entlassen - habe ich erfahren, daß Nassehi einen Aufsatz mit dem Titel "Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen" - Über die Geschwätzigkeit des Todes in unserer Zeit veröffentlicht hat. Dieses Fehlzitat aus dem Tractatus - der Originalsatz lautet "Wovon man nicht sprechen kann ..." - ist kurios, denn es ist das am meisten zitierte.

Nun ja ... Aus Neugier habe ich in der Deutschen Wipe nachgeschaut, was Anonymus so zu dem Satz zu sagen hat:
Der letzte Abschnitt [7] des Tractatus besteht lediglich aus einem prägnanten und viel zitierten Satz: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Womit nicht gemeint ist, dass bestimmte Wahrheiten besser unerwähnt bleiben, sondern dass das, was Sprechen oder Denken ermöglicht, nicht dessen Gegenstand sein kann – wodurch philosophische Rede schlechthin in Frage steht.
Meine Güte, was für ein bedächtiger Unsinn ! Wittgensteins Satz ist Witz, eine tautologische Neckerei. Zugunsten der ersten Interpretation, die Anonymus vorlegt, um sie gleich zurückzuweisen, hätte es heißen müssen: "Wovon man nicht sprechen darf, darüber sollte man schweigen". Dann preßt Anonymus doch noch Tiefsinn aus dem mot, und findet "philosophische Rede schlechthin" an den Pranger gestellt.

Dahingegen gebe ich Folgendes zu bedenken:

1) Wittgensteins Spruch suggeriert in keiner Weise, daß es etwas gibt, wovon man nicht sprechen kann. Schon "wovon man nicht sprechen kann" ist ein (wenn auch mageres) Sprechen über das, wovon man angeblich nicht sprechen kann.

2) Es fällt in der Regel nicht schwer, über Sachen zu sprechen, von denen man eigentlich nicht sprechen kann, da man keine Ahnung hat.

3) Der Satz läßt sich daher so lesen: "hast du nichts zu sagen, halt' die Fresse".

Samstag, 7. Mai 2011

Habgier

Da sie mir so gut gefällt, gebe ich hier die Grimmsche Version des hintersinnigen Märchens vom Fischer und seiner Frau auf Plattdüütsch wieder. Frage an Anhänger der apophatischen Theologie: hat die Frau ihr Ziel erreicht ?

Van den Fischer un siine Fru


Daar was mal eens een Fischer un siine Fru, de waanten tosamen in'n Pispott, dicht an de See, un de Fischer ging alle Dage hen un angelt, un ging he hen lange Tid.

Daar satt he eens an de See bi de Angel, und sach in dat blanke Water, und he sach ümmer na de Angel: daar ging de Angel to Grun'n, deep unner, un as he se herruttreckt so haalt he eenen groten Butt herut. De Butt sed to em "ick bidd di datt du mi lewen lättst: ick bin keen rechte Butt, ick bin een verwünscht Prins, sett mi wedder in dat Water, un laat mi swemmen". "Nu", sed der Mann, "du bruukst nich so veele Woord to maken, eenen Butt, de spreken kan, hadd ich doch woll swemmen laten". Daar sett't he en wedder in dat Water, un de Butt ging fuurts weg to Grun'n, un leet einen langen Stripen Bloot hinner sich.

De Mann averst ging to siine Fru in'n Pispott, un vertellt eer, dat he eenen Butt fangen hadd, de hadd to em segt he weer ein verwünscht Prins, daar hadd he em wedder swemmen laten. "Hest du di denn nix wünscht?" sed de Fru. "Nee", sed de Mann, "wat sull ich mi wünschen?" "Ach", sed de Fru, "dat is doch övel, ümmer in'n Pispott to wanen, dat is so stinkig und dreckig hier, ga du noch hen, un wünsch uns ne lütte Hütt". Den Mann was dat nich so recht, doch ging he hen na de See, un as he hen kamm, so was de See gans geel und grön, da ging he an dat Water staan, und sed

Mandje, Mande Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
miine Fru, de Ilsebill,
will nich so as ick wol will.


Daar kam de Butt answemmen und sed "na, wat will se denn?" "Ach!" sed de Mann, "ick hev di doch fangen hätt, nu sed miine Fru, ich hadd mi doch wat wünschen sullt, se mag nich meer in Pispott wanen, se wull geern ne Hütt hebben". "Ga man hen", sed de Butt, "se is all daar in".

Daar ging de Mann hen, un siine Fru stund in eene Hütt in de Döör, un sed to em "kumm man herin; sü, nu is dat doch veel beter". Und daar was eene Stuwe un Kammer un eene Kök daar in, un da achter was een lütte Gaaren mit allerhand Grönigkeiten, un een Hoof, da weeren Hönen un Aanten. "Ach", sed de Mann, "nu willn wi vergnögt lewen". "Ja", sed de Fru, "wi willnt versöken".

So ging dat nu woll een acht oder veertein Daag, daar sed de Fru "Mann, de Hütt wart mi to eng, de Hoff un Gaarn is to lütt, ich will in een grot steenern Slott wanen; ga hen tom Butt, he saal uns een Slott schaffen". "Ach Fru", sed de Mann, "de Butt hett uns eerst de Hütt gewen, ich mag nu nich all wedder kamen, den Butt mügt et verdreeten". "I watt", sed de Fru, "he kann dat recht good, un deit dat gern, ga du man hen". Daar ging der Mann hen, und siin Hart was em so swar; as he awerst bi de See kam, was dat Water gans vigelett und grag und dunkelblag, doch was't noch still, dar ging he staan, und sed

Mandje, Mande Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
miine Fru, de Ilsebill,
will nich so as ick wol will.


"Na, wat will se denn?" sed de Butt. "Ach", sed de Mann, ganz bedrövd, "miine Fru will in een steenern Slott wanen". "Ga man hen, se steit vör de Döör", sed de Butt.

Daar ging de Mann hen, un siine Fru stund vör eenen groten Pallast. "Sü Mann", sed se, "wat is dat nu schön!" Mit des gingen se tosamen herin, daar weeren so veel Bedeenters, un die Wände weeren all blank, un goldne Stööl un Dische weeren in de Stuw, un achter dat Slott was een Gaaren un Holt, woll eene halve Miil lang, daar in weren Hirsche, Reeh und Hasen, un up den Hoff Köh- und Peerdställ. "Ach, sed de Mann,"nu willn wi ook in dat schöne Slott bliwen, un tofreden sin". "Dat willn wi uns bedenken", sed de Fru, "un willn't beschlapen". Mit des gingen se to Bed.

Den annern Morgen waakt de Fru up, da was't all Dag: da stödd se den Mann mit den Ellbagen in die Siid, un sed "Mann, stah up, wi möten König warden över all dat Land". "Ach, Fru", sed de Mann, "wat wulln wi König warden, ick mag nich König sin". "Na, denn will ick König sin". "Ach, Fru", sed de Mann, "wo kannst du König sin, de Butt mügt dat nich doon". "Mann", sed de Fru, "ga stracks hen, ich möt König sin". Daar ging de Mann, un was gans bedrövd dat siin Fru König warden wull. Un as he an de See kamm, was se all gans swartgrag, un dat Water geert so van unnen up. Daar ging ge staan, und sed

Mandje, Mande Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
miine Fru, de Ilsebill,
will nich so as ick wol will.


"Na, wat will se denn?" sed de Butt. "Ach", sed de Mann, "miine Fru will König warden". "Ga man hen, se is't all" sed de Butt.

Daar ging de Mann hen, un as he na den Pallast kamm, da weren daar so veele Soldaten un Pauken und Trumpeten, un siine Fru satt up eenen hogen Troon von Gold un Demant, un had eene goldne Kron up, un up beiden Siiden bi eer daar stunden sös Jumfern, ümmer eene eenen Kops lüttjer as de annre. "Ach", sed de Mann, "bist du nu König?". "Ja", sed se, "ick bin König". Un as he eer so ne Wile anseen had, so sed he "ach, Fru, wat leet dat schön, wenn du König bist, nu willn wi ook nix mehr wünschen". "Nee", Mann", sed se, "mi duurt dat all te lang, ick kan dat nich meer uthollen, König bin ick, nu möt ich ook Kaiser warden!" "Ach, Fru", sed de Mann, "wat willst du Kaiser werden." "Mann", sed se, "ga tom Butt, ich wull Kaiser sin". "Ach, Fru", sed de Mann, "Kaiser kann he nich maken, ick mag den Butt dat nich seggen". "Ick bin König", sed de Fru, "un du bist miin Mann, ga gliik hen". Daar ging de Mann weg, un as he so ging, dacht he "dit geit und geit nich good, Kaiser is to utverschamt, de Butt ward am Ende möde". Mit des kamm he an de See, dat Water was gans swart un dick, un et ging so een Keekwind äver hen, dat dat sik so köret. Daar ging he stann, un sed

Mandje, Mande Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
miine Fru, de Ilsebill,
will nich so as ick wol will.


"Na, wat will se denn?" sed de Butt. "Ach", sed de Mann, "miine Fru will Kaiser warden". "Ga man hen, se is't all" sed de Butt.

Daar ging de Mann hen, un as he daar kamm, so satt siine Fru up eenen seer hogen Troon, de was van een Stücl Gold, un had eene grote Kroon up, de was wol twee Ellen hoch, bi eer up de Siiden daar stunnen de Trabanten, ümmer een lüttjer as de anner, von den allergrötesten Risen, bet to den lüttsten Dwark, de was man so lan, as miin lüttje Finger. Vor eer daar stunden so veele Fürsten und Graven, daar ging de Mann unner staan, un sed "Fru, bist du nu Kaiser?" "Ja", sed se, "ick bin Kaiser". "Ach", sed de Mann un sach se so recht an, "Fru, wat lett dat schöne, wenn du Kaiser bist". "Mann", sed se, "wat steist du daar, ick bin nu Kaiser, nu will ick äwerst ook Pabst warden". "Ach, Fru", sed de Mann, "wat willst du Pabst warden, Pabst is man eemal in de Christenheit". "Mann", sed se, "ich möt hüüt noch Pabst warden". "Ne, Fru", sed he, "to Pabst kann de Butt nich maken, dat geit nich good". "Mann, wat Snack, kan he Kaiser maken, kan he ook Pabst maken, ga fuurts hen". Daar ging de Mann hen, un em was gans flau, dee Knee un de Waden slakkerten em, un buten ging de Wind, un dat Water was as kaakt dat, de Scheep schoten in die Noot, un dansten un sprungen up de Bülgen, doch was de Himmel in de Midde noch so'n beeten blag: awerst an de Siiden, daar toog dat so recht rood up, as een swaar Gewitter. Da ging he recht vörzufft staan, un sed

Mandje, Mande Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
miine Fru, de Ilsebill,
will nich so as ick wol will.


"Na, wat will se denn?" sed de Butt. "Ach", sed de Mann, "miin Fru will Pabst warden". "Ga man hen, se is't all" sed de Butt.

Daar ging he hen, un as he daar kamm, satt siine Fru up eenen Troon, de was twee Mil hoch, un had dree groote Kroonen up, un um eer da was so veel van geistlike Staat, un up de Siiden bi eer daar stunden twee Reegen Lichter, dat grötste so dick un grot as de aller grötste Torm, bet to dat alle lüttste Kökenlicht. "Fru", sed de Mann, un sach se so recht an, "bist du nu Pabst?" "Ja", sed se, "ick bin Pabst". "Ach, Fru", sed de Mann, "wat lett dat schön, wenn du Pabst bist. Fru, nu wes tofreden, nu du Pabst bist, kannst du nix meer warden". "Dat will ick mi bedenken" sed de Fru, daar gingen se beede to Bed, awerst se was nich tofreden, un die Girigkeit leet eer nich slapen, se dacht ümmer wat se noch wol warden wull. Mit des ging de Sünn up: "ha", dacht se, as se se ut den Fenster so herup kamen sach, "kann ich nich ook de Sünn upgaan laten?" Da wurde se recht so grimming, un stödd eeren Mann an, "Mann, ga hen tom Butt, ick will warden as de lewe Gott". Der Mann was noch meist im Slap, awerst he verschrack sich so, dat he ut den Bed feel. "Ach, Fru", sed he, "ga in di un bliw Pabst". "Ne", sed de Fru, un reet sich dat Liivken up, "ick bin nich ruhig, un kan dat nich uthollen, wenn ick de Sünn un de Maan upgaan see, un kan se nich ook upgaan laten, ich möt warden as de lewe Gott". "Ach, Fru", sed de Mann, "dat kann de Butt nich, Kaiser un Pabst kan he maken, awerst dat kan he nich". "Mann", sed se, un sach so recht gräsig ut, "ich will warden as de lewe Gott, ga gliik hen tom Butt".

Dat fuur den Mann so dörch de Gleder, dat he bewt vör Angst, buten awer ging de Storm, dat alle Böme un Felsen umweigten, un de Himmel was gans swart, un dat dunnert un blitzt: daar sach man in de See so swarte hoge Bülgen as Barg, un hadden baben all eene witte Kroon van Schuum up. Da sed he

Mandje, Mande Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
miine Fru, de Ilsebill,
will nich so as ick wol will.


"Na, wat will se denn?" sed de Butt. "Ach", sed de Mann, "se will warden als de lewe Gott". "Ga man hen, se sitt all wedder in'n Pispott". Daar sitten se noch hüt up dissen Dag.

Samstag, 26. Juni 2010

Docta ignorantia

Zu einem Blog über das Thema Alexie hat ein Kommentator vor kurzem bemerkt, es habe ihn immer zutiefst beunruhigt, daß ein Großteil unseres Wissens um die neurologischen Funktionsweisen des Menschen durch Untersuchungen von traumatischen Hirnschäden entstanden ist.

Das ist der Dank einer Person, die, vom Glückslager der Unversehrtheit aus, die unglücklichen Glücksbringer mit bangem Mitleid betrachtet. Sich bei dieser menschlichen Reaktion länger aufzuhalten, lohnt hier nicht.

Aber ist es denkbar, daß wir anders als durch Störungen und Verstörungen klüger werden ? Ich sehe nichts Beunruhigendes darin, daß wir aus ungewöhnlichen Situationen lernen, auch schlimmen. Es ist vielmehr unmöglich, aus dem Vertrauten zu lernen. Das erhellt schon aus dem Umstand, daß etwas vertraut ist, wenn man darüber schon Bescheid weiß. Alles Geschriebene und Gehörte, mit dem es sich zu befassen lohnt, ist unbeschrieben und unerhört. Erfahrungen kann man nur an den Grenzen des Wissens machen: dort, wo das Unwissen beginnt.

In diesem Zusammenhang hat Luhmann in Soziale Systeme notiert:
Sinn verweist immer wieder auf Sinn und nie aus Sinnhaftem hinaus auf etwas anderes. Systeme, die an Sinn gebunden sind, können daher nicht sinnfrei erleben oder handeln.

... Eine Präferenz für Sinn gegen Welt, für Ordnung gegen Störung, für Information gegen Rauschen ist nur eine Präferenz. Sie macht das Gegenteil nicht entbehrlich. Insofern lebt der Sinnprozess von Störungen, nährt sich von Unordnung, läßt sich durch Rauschen tragen und erfordert für alle technisch präzisierten, schematisierten Operationen ein "ausgeschlossenes Drittes".

... Auch ein Widerspruch, auch eine Paradoxie hat Sinn. Nur so ist Logik überhaupt möglich. Man würde sonst beim ersten besten Widerspruch in ein Sinnloch fallen und darin verschwinden.