Samstag, 26. Juni 2010

Docta ignorantia

Zu einem Blog über das Thema Alexie hat ein Kommentator vor kurzem bemerkt, es habe ihn immer zutiefst beunruhigt, daß ein Großteil unseres Wissens um die neurologischen Funktionsweisen des Menschen durch Untersuchungen von traumatischen Hirnschäden entstanden ist.

Das ist der Dank einer Person, die, vom Glückslager der Unversehrtheit aus, die unglücklichen Glücksbringer mit bangem Mitleid betrachtet. Sich bei dieser menschlichen Reaktion länger aufzuhalten, lohnt hier nicht.

Aber ist es denkbar, daß wir anders als durch Störungen und Verstörungen klüger werden ? Ich sehe nichts Beunruhigendes darin, daß wir aus ungewöhnlichen Situationen lernen, auch schlimmen. Es ist vielmehr unmöglich, aus dem Vertrauten zu lernen. Das erhellt schon aus dem Umstand, daß etwas vertraut ist, wenn man darüber schon Bescheid weiß. Alles Geschriebene und Gehörte, mit dem es sich zu befassen lohnt, ist unbeschrieben und unerhört. Erfahrungen kann man nur an den Grenzen des Wissens machen: dort, wo das Unwissen beginnt.

In diesem Zusammenhang hat Luhmann in Soziale Systeme notiert:
Sinn verweist immer wieder auf Sinn und nie aus Sinnhaftem hinaus auf etwas anderes. Systeme, die an Sinn gebunden sind, können daher nicht sinnfrei erleben oder handeln.

... Eine Präferenz für Sinn gegen Welt, für Ordnung gegen Störung, für Information gegen Rauschen ist nur eine Präferenz. Sie macht das Gegenteil nicht entbehrlich. Insofern lebt der Sinnprozess von Störungen, nährt sich von Unordnung, läßt sich durch Rauschen tragen und erfordert für alle technisch präzisierten, schematisierten Operationen ein "ausgeschlossenes Drittes".

... Auch ein Widerspruch, auch eine Paradoxie hat Sinn. Nur so ist Logik überhaupt möglich. Man würde sonst beim ersten besten Widerspruch in ein Sinnloch fallen und darin verschwinden.

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